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1869: Das bischöfliche Konvikt nimmt Gestalt an

150 Jahre Bistum – Wegmarken (18)

Seit der frühen Neuzeit bildeten geistliche Internate ein wichtiges Instrument kirchlicher Erziehung und Nachwuchsgewinnung. In den von Klerikern geleiteten und seelsorgerisch betreuten Einrichtungen sollten Schüler und Studenten, von störenden Einflüssen abgeschirmt, in ihrem Glauben gebildet und gefestigt werden. Im 19. Jahrhundert nahmen die Konvikte die Schüler der Oberschulen auf und wirkten damit im Vorfeld der Priesterseminare, an denen die Theologiestudenten ausgebildet wurden. Die Unterbringung im Konvikt war zwar kostenpflichtig, doch waren meist zahlreiche Stiftungsplätze vorhanden, die Schülern aus ärmeren Bevölkerungsschichten offenstanden.

Schon die Apostolischen Vikare van der Noot und Laurent bemühten sich um die Einrichtung eines Konvikts oder eines kleinen Seminars (speziell zur Erziehung jener, die nach ihrem Schulabschluss die geistliche Laufbahn einschlagen und Theologie studieren wollten). Die Konviktsgründung brauchte aber erheblich länger als der Aufbau des Priesterseminars, der schon Mitte der 1840er Jahre stattfand. Die Finanzierung war unklar, und das Verhältnis zwischen einem geistlich geleiteten Konvikt und dem staatlichen Athenäum umstritten.

Kirchenkritische Kreise waren von dem Gedanken, eine solche Erziehungsanstalt für Schüler des Athenäums einzurichten, nicht sehr angetan. In einer nicht näher datierten, wahrscheinlich 1867/1868 entstandenen Denkschrift (Bild 1, Transkription) versuchte der geistliche Verfasser (Nicolas Adames?), derlei Bedenken zu zerstreuen und – auch materielle – Vorteile eines Konvikts hervorzustreichen. Man wolle „keine Fanganstalt zur Recrutierung des Klerus“ schaffen. Innerhalb der die Stadt einschnürenden Festungsanlagen stellte sich aber auch die Frage nach geeigneten Räumlichkeiten.

Erst 1867 zeichnete sich eine Lösung ab. Im zweiten Londoner Vertrag wurde Luxemburg neutral, der Status als Bundesfestung aufgehoben. Mit einem Mal stand Platz zur Verfügung (hierauf dürften sich die Punkte 4 und 5 der Denkschrift beziehen). Der Apostolische Vikar Adames zögerte nicht lange, ersteigerte 1869 das Fort Rheinsheim (Bild 2) und ließ, gestützt auf Spenden aus der Bevölkerung, ein Gebäude zur Unterbringung des Konvikts errichten. Die Eröffnung folgte 1872.

DAL, Dep. Konvikt 20, Denkschrift, undatiert, wahrscheinlich 1867/1868
DAL, Dep.Konvikt 20, Mémorandum, non daté, probablement 1867/1868
DAL, GV.Finanzen 115, Urkunde über die Versteigerung des Forts Maria Rheinsheim, Luxemburg, 2. Januar 1869
DAL, GV.Finanzen 115, Charte sur la vente aux enchères du Fort Maria Rheinsheim, Luxembourg, 2 janvier 1869

Transkription zu Bild 1

[Seite 1]

1) Jeder Luxemburger hat das Recht zu fordern, daß
seine Kinder in einer öffentlichen Anstalt ihrem Berufe
nicht entfremdet werden.
2) Diesem Recht auf der einen Seite entspricht auf der
anderen Seite die Pflicht, für den zu erreichenden Zweck
Vorsorge zu treffen.
3. Thatsache ist, daß sehr viele Eltern ihre Kinder nur
unter der Voraussetzung, daß sie sich dem geistlichen
Stande widmen, in’s Athenäum schicken; Thatsache ist,
daß wirklich jedes Jahr die Mehrzahl der Schüler ins
Priesterseminar eintreten. Diese Thatsache ist unläug-
bar; ob Jemand das thatsächliche bedaure, darauf
kommt es nicht an.
4. Darum ist es natürlich, daß das geistliche Oberhaupt
einem schon längst, bereits unter Van der Noot, tiefgefühlten
Bedürfniß nunmehr abzuhelfen bemüht ist, da Raum
zur Herstellung eines Convicts innerhalb der Stadt
gewonnen werden kann.
5. Diese Anstalt ist offenbar ebenso im Interesse des
Staates als der Kirche.
Darum darf man erwarten, daß [man] zur Erwerbung der Gebäulichkeiten
keine allzu hohe Forderungen
stelle, obgleich man vor billigen Forderungen
nicht zurücksteht.
6. Das Convict soll keine Fanganstalt zur Recrutierung
des Klerus werden; denn Niemand weiß besser, als
wir, was ein unberufener Priester für Unheil
stiftet u. deswegen wird selbstverständlich keiner
mag er auch noch so viele Wohlthaten im Convict
genossen haben, gezwungen, sich in den Klerus einreihen
zu lassen.
7. Das Convict macht dem Athenäum als Staatsanstalt
keinen Eintrag; wir hoffen im Gegentheil, daß es
durch daselbe zu größerem Flor gelange; denn
a) Niemand wird aufgenommen, der nicht schon
zuvor sich durch Fleiß u. gutes Betragen ausgezeichnet,
u. dessen natürliche Anlagen nicht wenigstens zur

[Seite 2]

Hoffnung berechtigen, daß er seine Studien, wenigstens
mit Befriedigung vollenden kann.
b) Keiner wird im Convict auf die Dauer geduldet,
dessen Studienzeugnisse vermuthen lassen, daß er seine
Studien nicht wenigstens mit Befriedigung vollenden
können [wird];
c) Wir hoffen, daß dieser Fall nur selten, oder fast
gar nicht verkommt; denn man braucht nur zu
erwägen, was durch ein regelmäßiges, unter beständiger
Aufsicht veranstaltetes Studium nach u. nach
erzielt wird, um zu wissen, daß auch ein
mittelmäßiges Talent schließlich befriedigen kann;
d) Wir erwarten, daß hiedurch dem Mißstand, daß
alljährlich mehreren Primanern die Maturitäts-
zeugnisse verweigert werden müssen, wird abgeholfen werden.
e) Man braucht keinen Zwiespalt zwischen
den Convictoristen u. den übrigen Schülern der
Anstalt zu fürchten, wenigstens nicht mehr als sonst.
Zwiespalt könnte höchstens dann entstehen, wenn
im Athenäum Politik getrieben werden dürfte
u. das Parteiwesen der Lehrer sich auch den
Schülern mittheilen könnte. Die Politik ist aber dieser
Anstalt fremd. Sie ist der Ruin einer jeden Erziehungs-
u. Unterrichtsanstalt. Aufrechthaltung einer guten,
christlichen Sitte u. die Grundlage einer soliden
Gymnasialbildung sind die beiden Hauptpfeiler
unserer Unterrichtsanstalt. Sobald dieses
Hauptziel in’s Auge gefaßt wird, dann dürfen
die Mittel dazu etwas verschieden sein: Die Einen studiren
bei ihren Eltern, Verwandten oder Anderswo nach
Belieben, die Anderen in einer Anstalt, die nur
die Stelle der Eltern oder Anderer vertritt. Die
Verschiedenheit der Mittel wird durch die Gemeinsamkeit
des Zweckes zur Einheit u. einem harmonischen
Ganzen erhoben.
[f) Die Errichtung eines Convicts bringt dem Staat
sogar materiellen Nutzen, indem die Abhaltung
des Silentiums im Athenäum selbst unnöthig
u. die Aufsicht der Lehrer überhaupt erleichtert
wird.]

[Seite 3]

g) Übrigens bestehen in anderen Ländern auch
ähnliche Institute. In Preußen zB. werden solche Convicte
nicht nur genehmigt, sondern auch vom Staate
zu Civilpersonen erhoben.
8) Auch die Stadt selbst erleidet durch die Errichtung
eines Convicts keinen Schaden. Denn
a) es ist offenbar, daß manche Eltern ihre Kinder
im Auslande studiren lassen, weil sie keine
Garantie der gehörigen Versorgung in der Stadt
haben.
b) Gesetzt auch, solche Eltern würden ihre Kinder
nicht dem Convict anvertrauen, so böte doch
das Dasein einer neben dem
Athenäum bestehenden Anstalt, wo Zucht
u. Ordnung herrscht, eine hinlängliche Sicherheit
dar, daß auch im Athenäum eine sorgfältige
Überwachung vorhanden ist.
c) Mehrere wohlthätige Familien der Stadt haben
bis dahin dürftige Studenten unterstützt u.
leider zu oft erfahren, daß der Zweck ihrer
Almosen später vereitelt wurde. Bei Errichtung
eines Convicts sind sie der Mühe, sich um
das Betragen u. die Fortschritte ihres Pfleglings
zu bekümmern, enthoben u. findet ihr
möglicher Wohlthätigkeits [sic!] einen Ausweg,
der einen guten Zweck sicherstellt.
d) Sehr viele Jünglinge des Landes bekommen
ihre Kost ganz oder theilweise von Haus u.
bringen selbstverständlich der Stadt wenig ein;
gerade solche Arme werden voraussichtlich die
Mehlzahl [sic!] der Convictoristen bilden. Was
auf der einen Seite Verlust bringt, das bringt auf
der anderen Gewinn. Übrigens wird ganz gewiß
die Frequenz des Athenäums wachsen (auch aus
dem Auslande.

 
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