Stichwort : Liebe

Regard protestant von Volker Strauss (18.6.2016)

Ein Mensch schießt an einem einzigen Abend über fünfzig andere in den Tod – und wir sind per Smartphone live dabei. Ein anderer bringt einen Polizisten zu Tode, und macht davon ein Filmchen – das auf Youtube laufen darf. Menschen prügeln sich und Unbeteiligte beim Fußballturnier krankenhausreif und brüsten sich mit ihrer Gemeinheit auf facebook und im TV. Ein Mensch schubst einen andern am Bahnsteig fast zu Tode und geht weg, als wäre nichts geschehen – die Überwachungskamera zeigt Menschen, die regungslos zuschauen und nicht eingreifen.

Da bekommt man doch Panik. Der neben uns kann uns vor die Bahn werfen, der hinter uns ein Schnellfeuergewehr in uns entleeren, der über uns wirft einen Stein von der Brücke, der unter uns tritt uns mit Füssen krankenhausreif. Und viele schauen zu, sagen nichts und tun nichts.

Die Medien melden, dieser oder jener Täter habe aus Frust zugeschlagen. Dies Wort steht für alle die Gründe von Wahnsinn, die wir im einzelnen gar nicht mehr auseinander halten, schon gar nicht heilen können ; steht für : Enttäuschung, Versagen, Verachtet werden, eine Niederlage mit einer Gewalttat überdecken wollen, sich selbst und anderen den Starken vorspielen, einen Augenblick Täter sein, nicht mehr nur Opfer, lieber gefürchtet als verlacht sein, und endlich einmal Aufmerksamkeit.

Das Rätselhafte ist, warum die einen Frustrierten zu Massenmördern oder Schlägern werden und die andern halten ihren Druck aus, wieder andere fliehen in Traumwelten oder verstecken sich, geben klein bei und fressen ihr Leiden nach innen. Die einen morden, andere nehmen’s leicht, und wieder andere nehmen sich selbst das Leben. Die einen wenden ihre Gewalt nach außen, die andern nach innen. Zerstörte sind beide. Das Wunder ist, wie viele Wütende und Bösgemachte doch noch an sich halten können, immer noch die Faust nur in der Tasche ballen. Und wie viele werden gerettet durch Liebe. Wie viele Frauen stellen sich schützend vor die Kinder ; wie viele Kneipenwirte sind Friedensengel, wie viel Gewalt wird aufgesogen durch Freunde, die den Schwierigen nicht aufgeben. Und Lehrer stellen zur Rede, zeigen dem Gezeichneten, dass er doch was taugt. Jede Ohrfeige, jedes grobe Foul, jeder Raub, jedes schlecht- und verächtlich machen, jede böse Email, jedes Mobbing, jede einzelne Gewalttat ist schon zu viel.

Machen wir uns klar : wir kommen doch von Mördern. Wir sind die Überlebenden von Siegern, andere sind längst ausgestorben. Wir haben so viel Ungutes im Herzen, Neid und Hass kochen hoch und der Terror der Bilder stachelt an, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Der eine wird Gewalttäter und ich und du, werden wir stumpf dreinblickende, untätige Zuschauer ?

Was tun ? Jesus sagt : Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann biete die Linke auch dar, wenn einer mit dir rechten will um deine Jacke, dann gib ihm auch das Hemd. Wir aber schauen im Fernsehen und Internet hin, aber in der Realität schauen wir ganz schnell weg, lassen die Opfer in der Not und die Täter mit Frust allein in ihrer erbitterten Hilflosigkeit. Dann greifen sie sich wieder einen, irgendeinen und warum nicht mich ? Nicht dich ? Wir müssen wohl mehr verstehen wollen, mehr kümmern wollen, und mehr lieben wollen.

Der Autor ist Titularpastor der Protestantischen Kirche von Luxemburg.

 
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