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Der Glaube des Jesus von Nazareth

Der Glaube des Jesus von Nazareth
„Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10)

Die Evangelien geben Zeugnis von einem Jesus, der sich wie jemand verhält und handelt, der eine aufwühlende Erfahrung Gottes als Vater gemacht hat; eine Erfahrung, die ihn zu einer befreienden Praxis drängt, entgegen der zahlreichen Gebräuche seiner Zeitgenossen. Durch sein befreiendes Handeln offenbart sich Jesus vor den Augen seiner Jünger als der Sohn des barmherzigen Vaters und Gesalbter des Heiligen Geistes, Zeuge und Verwirklicher des menschenfreundlichen Planes Gottes. Aber, an was glaubte Jesus? Was waren seine tiefsten Überzeugungen, die seinem Leben und seinem Handeln Halt gaben? Dies werden wir etwas später sehen.

Jesus wurde um das Jahr 6 vor unserer Zeitrechnung geboren. Seine Mutter hieß Maria, ein junges galiläisches Mädchen aus Nazaret – ein Ort mit schlechtem Ruf: „Aus Nazaret? Kann von dort etwas Gutes kommen?“ (Joh 1,46; 7,52). Das Kind wuchs auf umgeben von seinen Angehörigen (Mk 3,31 f.; 6,3 f.) und wurde erwachsen wie ein anonymer Jude [1] ; bekannt als der „Sohn des Zimmermanns“ (tekton, Mk 6,3; Mt 13,55). Er hatte weder eine rabbinische Ausbildung, noch irgendeine Zugehörigkeit zu anderen religiösen Bewegungen. Die unzähligen Gleichnisse, die seine Jünger niedergeschrieben haben, lassen in ihm einen Geist von großer Intelligenz und Tiefe erkennen. Zweifellos war Jesus kein passiver Beobachter des alltäglichen Lebens seines Dorfes.

Als er erwachsen war, „etwa dreißig Jahre alt“ (Lk 3,23), ging Jesus von Galiläa hinunter nach Judäa, um sich von Johannes taufen zu lassen. Er wird in Judäa bleiben, in Verbindung mit dessen Taufhandlung (Joh 3,22-24; 4,1 f.). Wie die Erzählungen der Taufe bezeugen, scheint dieses Zusammentreffen mit Johannes eine grundlegende Rolle im Bewusstwerden seiner Berufung gespielt zu haben (Mk 1,9-11). Nun aber, trotz dieser Nähe, distanziert sich Jesus von Johannes, und, nach der Gefangennahme dieses Letzteren (Mk 1,14), verlässt er Judäa, um sich in Kafarnaum niederzulassen, der kosmopolitischen und kommerziellen Stadt des Nordens. So wird Galiläa der Ort seiner öffentlichen Tätigkeit werden, die sich für ein Jahr nach den Synoptikern, oder für drei Jahre nach Johannes, nicht darüber hinaus ausdehnen wird.

Jesus war ein Mensch, der es liebte, allen Arten von Personen zu begegnen, der es mochte, ihnen zuzuhören und mit ihnen zu reden, der den Leuten Empathie entgegenbrachte und Nähe mit ihrem alltäglichen Leben zum Ausdruck brachte. Für ihn war jede Person wichtig; bereitwillig hat er Einladungen zum Essen und zu Feiern angenommen, und wurde daher „ein Fresser und Säufer, ein Freund der Zöllner und Sünder“ (Mt 11,19; 9,10 f.; Lk 5,29 f.; Mk 2,15 f.) genannt. Mehr als einmal war er gezwungen sich zu rechtfertigen: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“ (Mt 9,12; Mk 2,17). Seine Vorliebe galt den Außenseitern, die unter der Schwere der Ungerechtigkeit und den durch die Gesetzeslehrer auferlegten Reinheitsgeboten litten; sein Satz „deine Sünden sind dir vergeben“ (Mk 2,5; Mt 9,2; Lk 5,20) stellte ihre Würde wieder her und machte sie frei für ein neues Leben. Er glaubte zutiefst daran, dass der Mensch zu viel mehr fähig ist, als dieser von sich selbst denkt: er kann vollkommen sein, wie sein himmlischer Vater vollkommen ist (Mt 5,48).

In einem Umfeld, in dem die Frau nicht zählt – es genügt sich die Reinheitsgebote [2] in Erinnerung zu rufen -, glaubte Jesus an die Würde und Größe der Frau. Mehrere Frauen werden als seine Jünger erwähnt (Lk 8,1-3; 10,38-42) – was der gewöhnlichen Praxis der Rabbiner in Israel widersprach –. Zum wiederholten Mal stellte er die Kraft ihres Glaubens heraus (Mk 5,34; 14,9; Joh 12,1-4; Lk 7,36-50; 11,27; Mt 15,21-28) und verteidigte sie gegen die Ungerechtigkeiten einer engstirnigen Lektüre des jüdischen Gesetzes (Mt 19,3-12; Joh 8,2-11; Mk 5,21-43; Lk 7,11-17). Sie sind es, die treu bleiben, und angesichts des Kreuzes gegenwärtig sein und die als die Ersten seine Auferstehung verkündigen werden (Lk 24,10).

Er verkündete das „Reich Gottes“, und versuchte es durch seine Taten zu verwirklichen (Mk 1, 14-15). Er wollte jedem „das Leben in Fülle“ geben (Joh 10,10), angefangen bei den Kleinsten und Missachtetsten. Die frohe Botschaft vom Reich Gottes, die er neben seinem Handeln verkündete, und seine alleinige Gegenwart, gaben jenen Hoffnung, denen er begegnete (Lk 4,14 ff.; Mt 5,1-12; 11,1-5). Die Befreiung der Armen war für ihn das Zeichen der Gegenwart des Reiches Gottes (Lk 7,22 ff.; Mt 11,4 ff.) und Ziel seiner Mission (Lk 4,18 ff.). Die deutlichste Geste dieser Option für die Außenseiter, war seine Gewohnheit, mit ihnen zu essen. Er war davon überzeugt, dass sein Vater sich die Armen erwählen würde, um sich und seinen Plan der Menschenfreundlichkeit zu offenbaren (Mt 11,25 f.; Lk 10,21). Für diese Mission berief er Jünger, die er zu „Menschenfischern“ machte (Mt 4,19).

Seine Option für das Königreich der Menschenfreundlichkeit seines Vaters, gab ihm Kraft, ein Mensch von tiefgreifender Freiheit gegenüber dem Gesetz zu sein: er hat daran erinnert, dass der Sabbat zum Wohl des Menschen da ist (Mt 2, 23 ff.; 3,1; Lk 13,10 ff.; 14,1 ff.; Mt 12,9 ff.; Joh 6,16), dass das Fasten und die Reinheitsnormen keinen Sinn haben, wenn sie entfernt sind von der Liebe zum Nächsten (Lk 10,29 ff.; Mk 2,18 ff.; 7,1). Angesichts des Gesetzes, mit all seinen Risiken zur Diskriminierung und zum Egozentrismus, schlug Jesus eine regelrechte Utopie für den Menschen vor: in einer solidarischen Offenheit gegenüber den anderen zu leben, in der Überzeugung, dass der Mensch allein die wahre Richtschnur für das Gesetz ist. Daher muss das Gesetz im Dienst dieser Würde stehen: die Rechtfertigung des Menschen geschieht offensichtlich in einer inneren Haltung der solidarischen Liebe gegenüber dem anderen, und nicht im Erfüllen von äußeren Normen (Mt 7,12; 12,8; Joh 13,34; Mk 10,17-22).

Jesus war absolut davon überzeugt, dass nur Liebe und Gerechtigkeit gegenüber dem Nächsten der Ort für den Nachweis eines rechten Kultes gegenüber seinem Vater sind (Mt 25,31 ff.). Sein prophetischer Akt der Vertreibung der Händler aus dem Tempel – der für die Synoptiker das öffentliche Dienstamt Jesu krönt, während er es bei Johannes eröffnet – zeigt seine Überzeugung, dass die allgemeine Begegnung Gottes mit seinem Volk in der Liebe geschieht, und dass diese Begegnung offen ist für alle Völker (Mt 6,33). Die drei prophetischen Belegstellen, die die Evangelisten ihm in den Mund legen (Jes 56,7; Jer 7,11 und Sach 14,21) unterstreichen seinen Glauben an die Universalität und Unentgeltlichkeit der Begegnung mit Gott (Joh 4,21). Aus diesem Grunde war er sehr kritisch gegenüber dem Tempel und der religiösen Praxis, die sich um ihn herum abspielte (Apg 6,14), was einer der Hauptanklagepunkte gegen ihn werden wird (Mk 14,58; Mt 26,61).

Die Haltung Jesu gegenüber den Armen und Außenseitern, aber auch angesichts des Gesetzes und des Tempels, zeigte sich in seinem tiefen Glauben an einen barmherzigen Gottvater, und in seiner Überzeugung, dass jedem Menschen die Würde zukommt, Kind dieses Vaters zu sein. Er redete von Gott als von seinem „Abba“ (Mk 14,36), seinem „Papa“, und von „unserem Vater“ (Mt 6,9-13; 6,6). Der Vater, der, nach seiner Mutter Maria, „die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht“ (Lk 1,52), aber der gleichzeitig „seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten, und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45) [3]. Dieser Glaube ist mit seinen praktischen Konsequenzen tief verankert in der prophetischen Tradition Israels. Jedoch wird er von den Autoritäten im Gegensatz zu den Traditionen und dem Glauben Israels gesehen (Mk 7, 5). Die Übertretungen, die Distanzierungen, die Brüche Jesu mit der offiziellen Lehre über Gott und seinen Plan, haben zu der Tatsache geführt, dass die jüdischen Autoritäten recht schnell seinen Tod wollten (Mk 3,6; 14,1; Joh 5,18; 11,53). Auch wenn er im Begriff war, unter uns Gutes zu tun, „die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Seine Angehörigen dachten: „Er ist von Sinnen“ (Mk 3,21). Die Reichen, die Mächtigen und die Gelehrten, sogar der Hohepriester und jene, die sich Schriftgelehrte nannten, haben sich von ihm bedroht gefühlt und haben ihn abgelehnt, verleumdet und verfolgt, bis hin zur Hinrichtung am Kreuz. Für die Jünger war die Situation unverständlich. Sie hielten fest an einem glorreichen Messias (Mt 16, 22; 20,20), aber fanden sich wieder, gegenüber einem ausgegrenzten, von den Autoritäten verworfenen, besiegten und am Kreuz ermordeten Jesus.

Gewöhnt an das Glaubensbekenntnis an Jesus als Sohn Gottes, „eines Wesens mit dem Vater“, nach dem Ausdruck des Konzils von Nizäa (325), sind viele Christen überrascht, wenn sie die Evangelien durchlesen und sehen, dass Jesus sich beinahe nie explizit als „Sohn Gottes“ darstellt – ein Titel, der sich häufig im Mund von Dämonen und Feinden Jesu findet (Mt 4,3. 6; 27,40; Mc 3,11; 5, 7) – sondern, ganz einfach, als „Menschensohn“ (Mk 210 f. 27 f.; 8,31. 38; 9,31; 10,33. 45) [4]. Er verbringt seine Zeit nicht damit, eine Gotteslehre zu unterrichten, sondern die Herzen und niedergedrückten Körper der Armen und Außenseiter zu heilen. Sein einziges Gebot ist das der Nächstenliebe, und sein einziges „Dogma“ ist jenes, das daran erinnert, dass sein Vater ein Gott der Barmherzigkeit ist. Mit der Entstehung der christlichen Gemeinschaft und dem Anfang der Mission, aber auch mit der Strömung der Zeit, wurde jener, der an die bevorstehende Ankunft des Reiches Gottes glaubte, und der die Nähe seines Vaters verkündete, selbst zum Gegenstand des Glaubens.

Das Risiko, den Glauben an Jesus auf einen einfachen Beitritt zu einer religiösen Doktrin umzuwandeln, ist reell. Um dem zu entgehen, ist der Gläubige von heute dazu eingeladen, in die Evangelien einzutauchen, um sich täglich vom Glaubenszeugnis dieses „randständigen Juden“ zu nähren. Den Glauben an Jesus Christus zu bekennen, ist zu allererst, sich in seine Nachfolge zu begeben, denn das christologische Bekenntnis ist eine Bekehrung zum Stil Jesu, über einen rein intellektuellen Beitritt hinaus. Daher ist Jesus, sowohl für das christliche Gewissen als auch für die späte christologische Rechtgläubigkeit, der treue Offenbarer des wahren väterlichen Angesichts Gottes und gleichzeitig der Offenbarer des endgültigen, vollkommenen Menschen: „Derselbe ist vollkommen in der Gottheit und derselbe vollkommen in der Menschheit, zugleich wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch… mit dem Vater wesenseins der Gottheit nach und zugleich mit uns wesenseins der Menschheit nach“ (Konzil von Chalcedon, 451). Das Glaubensbekenntnis des Christen muss zum Ausdruck kommen, in einer praktischen, befreienden Rechtgläubigkeit, die davon Zeugnis gibt, dass Mann und Frau capax Dei, gottfähig, sind.

 Welche Aspekte des Glaubens Jesu sprechen den Glauben der Kirche an?
 Auf welche Art und Weise spricht der Glaube Jesu meinen eigenen Glauben an?

[1J. MEIER, Un certain juif Jésus, 4 Bände, Cerf, 2004-2009 (der Originaltitel lautet: A marginal Jew, Yale University Press, 1991).

[2Vgl. Lev 15,19 ff.

[3Die Kirchenväter haben diesen Vers oft interpretiert, in dem sie ihn auf die Gegenwart des Heiligen Geistes anwandten.

[4Es ist bezeichnend, dass von den 90 Malen, die der Ausdruck „Menschensohn“ im NT vorkommt (73 mal bei den Synoptikern, 13 mal bei Johannes, 2 mal in der Apokalypse - 1,13; 14,14 -, einmal in Apg 7,56 und einmal in Hebr 2,6), er 84 mal aus dem Mund Jesu selbst stammt. Diese Tatsache kann nicht zufällig sein, sondern bringt das Bewusstsein Jesu zum Ausdruck, welches dieser von sich selbst und seinem Auftrag hatte, und das die Gemeinschaft bewahren und weitervermitteln wollte.

 
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