de fr

Die Verehrung der Trösterin der Betrübten


Bis auf den heutigen Tag ist die Oktave, das Wallfahren zum Gnadenbild der Trösterin der Betrübten in der Kathedrale von Luxemburg ein ausschlaggebender Bestandteil der luxemburgischen Volksfrömmigkeit. Wie die Verehrung des heiligen Willibrord nicht ohne die Springprozessionvorstellbar ist, so auch nicht die Anrufung der Stadt- und Landespatronin ohne die zahlreichen Wallfahrten der Einzelpfarreien, Dekanate oder Pilgergruppen von Jugendlichen und Verbänden zum mehr als 350 Jahre alten Gnadenbild der Trösterin.

Die Ursprünge der Verehrung der Trösterin der Betrübten in der Zeit von Jesuitenpater Jacques Brocquart (+1660) sind in das Wallfahren selbst eingebettet. Am 8. Dezember 1624, am Fest der Unbefleckten Empfängnis Marias, trug, wie es die Geschichte berichtet, P. Brocquart mit den Studenten der Marianischen Sodalität des 1603 neu errichteten Jesuitenkollegiums der Stadt Luxemburg ein aus Lindenholz geschnitztes Bild Marias, als Apokalyptische Frau auf der Mondsichel majestätisch dargestellt, auf das freie Feld vor den Festungsanlagen, wo es von nun an verehrt werden sollte.

Was Pater Brocquart mit den Studenten an jenem Tag praktizierte, war in der damaligen Zeit etwas durchaus Geläufiges, kam doch seit dem Spätmittelalter den Tageswallfahrten eine zunehmend wachsende Bedeutung in der Volksfrömmigkeit zu. Die grossen Pilgerreisen nach Jerusalem, Rom oder Compostella hatten weithin ein Ende gefunden, die Fernwallfahrten wurden ersetzt durch die nun in engerem geographischen Rahmen stattfindenden Nahwallfahrten.

Dieser seit längerem die Volksfrömmigkeit kennzeichnende Brauch war durch das Auftreten des Protestantismus und seinen ausgesprochenen Hang zu einer verinnerlichten oder vergeistigten Glaubenspraxis in manchen Gegenden wohl in Frage gestellt worden, doch bekannte sich das Reformwerk des Konzils von Trient (1545-1563) in aller Deutlichkeit und Entschlossenheit zur Verehrung der Gottesmutter und der Heiligen vermittels der Bilder- und Reliquienverehrung sowie des Wallfahrens oder der Bittgänge. Somit verlieh es dem volkstümlichen Wallfahren zu den zahlreichen Stätten der Marienverehrung neue Impulse, die zutiefst die Barockfrömmigkeit der Neuzeit bis ins Aufklärungszeitalter hinein bestimmen werden.

Ignatius von Loyola (+ 1556), Begründer der Gesellschaft Jesu und Ordensvater von P. Jacques Brocquart, hatte dem Zeitalter der Katholischen Reform, aus welcher die innerkirchliche Erneuerung nach dem Trienter Konzil hervorging, eine Spiritualität vermittelt, die den Geist der kirchlichen Barockkultur prägen sollte. Alles, was die Reformatoren aus Verständnislosigkeit und in blindem Eifer abgelehnt hatten, weil es ihrem Spiritualismus oder dem Ideal reiner Geistigkeit anstössig war, lehrte er aus einer tieferen inkarnatorischen Sicht verstehen und in einen grösseren Zusammenhang hineinstellen. Ein selbstverständliches Ja zur Sichtbarkeit der Kirche Christi bestimmte sein Auftreten und Wirken. Zur sichtbaren Kirche gehörten nach ihm auch die liturgischen Zeremonien, Bilder- und Kirchenschmuck, Wallfahrten und Bittgänge. Man solle nicht immer nur vom Glauben allein reden, so betonte Ignatius, sondern auch das menschliche Mitwirken mit der Gnade hervorheben. Immer wieder wies Ignatius auf die alte katholische Lehre von Gott und Mensch, Gnade und Natur hin. Er wollte keine Restauration der vorreformatorischen Zustände, sondern eine innere Belebung und Erneuerung aus einem ausgeglichenen religiösen und kirchlichen Geist.

Ignatius selbst hat bezeichnenderweise an vielen Stellen seiner „Autobiographie“, seines bis 1538 reichenden Lebensberichtes, als „Pilger“ von sich gesprochen. Nach seiner eigenen Auffassung bezieht dieser Name sich nicht bloss ausschliesslich auf eine tatsächlich durchgeführte Pilgerreise ins Heilige Land, sondern ist zugleich ein Hinweis auf seinen Weg zu Gott, den er mit gutem Recht als Pilgerfahrt seines Lebens auffassen konnte. Die immer wachere Bereitschaft, auf Gottes Stimme zu hören und seiner Führung zu folgen, ist das Leitmotiv, das sich durch all die Wechselfälle und Schwierigkeiten seines Lebens hindurchzieht. Dabei kommt der Anrufung Marias in den Lebensentscheidungen des Ignatius, wie es sein Exerzitienbüchlein an mehreren Stellen bezeugt, eine besondere Bedeutung zu. Erbetet wird von Maria die vollkommene Nachfolge Jesu in der ignatianischen Kirchenfrömmigkeit.

In erstaunlich kurzer Zeit haben seine Mitbrüder diesen neuen Geist verbreitet und trotz schwieriger Zeitverhältnisse die katholischen Menschen ihres Glaubens wieder froh werden lassen.

In diesem auf Ignatius von Loyola zurückzuführenden religiös-kirchlichen Lebensgefühl liegen Wurzeln und Verständnis des Wallfahrens zum Bild der Trösterin der Betrübten im 17. Jahrhundert. Luxemburg, das als Herzogtum seit längerem seine Selbständigkeit verloren hatte, war in den Jahrzehnten, in welchen sich die Verehrung der Trösterin der Betrübten als Stadt- und Landespatronin entwickelte, in den politischen Verband der spanischen Niederlande eingegliedert. Die spanische Zeit unter den Statthaltern Albert und Isabella förderte bewusst in Luxemburg und in den übrigen Provinzen der Südniederlande alte oder neue marianische Wallfahrten, in welchen sich das erneuerte katholische Selbstverständnis und Selbstbewusstsein des tridentinischen Zeitalters verdichtete. Letztlich manifestierte sich in den marianischen Nahwallfahrten die Sorge um den echten Glauben nach den vielen Wirren, Unsicherheiten und Herausforderungen des kirchlichen Lebens durch die Glaubensspaltung und während des Dreissigjährigen Krieges, auch wenn bei den öffentlichen Instanzen die Abwendung von „Pest, Hunger und Krieg“ verständlicherweise im Vordergrund stand.

Anfangs, ab 1625, kamen nur vereinzelte Pilger oder Studentengruppen zum Bild der Trösterin der Betrübten, das in der eigens errichteten und 1628 konsekrierten Wallfahrtskapelle auf dem Glacisfeld vor den Toren der Festungsstadt aufgestellt wurde. Bereits 1639 berichtet das erste „Mirakelbuch“ über Gebetserhörungen und Heilungen vor dem Gnadenbild in der Glaciskapelle. Infolge der schnell sich verbreitenden Beliebtheit der Anrufung der Trösterin der Betrübten im Volk wird in demselben Jahr für die Pilger eine eigene Wallfahrtswoche eingeführt, deren Ablauf bis auf den heutigen Tag eigentlich die Grundstruktur der Oktavfeierlichkeiten bildet. In jenem Jahr nämlich wurde zum erstenmal wegen des grossen Andrangs der Pilger die Statue der Trösterin der Betrübten für acht Tage in die Jesuitenkirche innerhalb der Stadt gebracht, um nachher, nach Abschluss der acht Tage, in feierlicher Schlussprozession in die Wallfahrtskapelle auf dem Glacis zurückgebracht zu werden.Diese Übertragung des Gnadenbildes, aus der sich ein alljährlichwiederholter Brauch entwickelte, zeigt, wie das Wallfahren äusserst eng mit der Bildverehrung verbunden war. Im Mittelpunkt des Wallfahrens steht die auf vielfältige Weise erfolgende Begegnung mit dem Gnadenbild. Im Unterschied zu Antike und Mittelalter verlangt das christliche Pilgern der Neuzeit die Begegnung mit dem Bild, es wird zu einer ausgesprochenen Bildwallfahrt. Freilich beansprucht das Bild von sich aus keine eigene Verehrung. Wie schon Johannes von Damaskus im 8. Jahrhundert betonte, verehrt man im Bild das Urbild, Maria oder die Heiligen. Diesem Urbild werden Anliegen, Bitten und Dank anvertraut. „Der Aufbruch des Menschen zu einem letzten Sinn ist zugleich Aufbruch zu konkreten Gestalten, in denen dieser Sinn anschaubar, berührbar sich uns darbietet. Sicher, das Geheimnis ist immer grösser als die Gestalt, wir können das Göttliche nicht im erdhaften Ding festmachen, - aber wir entdecken, es ist menschlicher, dass das Wort Fleisch geworden ist, als wenn es mir als das je Grössere der fernste Horizont unserer Ahnungen geblieben wäre“. (Bischof Klaus Hemmerle, Aachen)

Nach der Erwählung der Trösterin zur Stadtpatronin 1666 und zur Landesschutzherrin 1678 dehnte sich ihre Verehrung im Volk weiter aus. Namentlich die Pfarrmissionen der Jesuiten aus Luxemburg, die von ihnen geförderten „Bruderschaften der Christlichen Lehre“ sowie die alljährliche Wallfahrtszeit vom 4. bis 5. Ostersonntag bildeten für die Ausbreitung der Wallfahrten eine wichtige Grundlage.

Das Wallfahren drückte sich nun immer stärker in volksnaher, barocker Prachtentfaltung aus. Am 2. Juli 1679 „huldigen“ die 17 Städte des Herzogtums der Landespatronin in der Jesuitenkirche, wo sie dem Gnadenbild begegnen, das mit festlichem „Behang“, - wie es in der damaligen Sprache hiess -, oder in reichem Festschmuck dem Blick der Beter sich anbietet. Seit 1766 begrüsst das Bild der Trösterin der Betrübten die Pilgerscharen am Ziel ihres Bittgangs an einem eigenen „Votivaltar“, der bis auf den heutigen Tag in den Augen der Gläubigen untrennbar mit der luxemburgischen Marienwallfahrt während der „Oktavzeit“ verwachsen ist. Anlässlich des ersten Zentenariums der Erwählung der Trösterin der Betrübten zur Stadtpatronin liess nämlich Jesuitenpater Theodor Helm, Verwalter der Gnadenkapelle, durch den bestbekannten Pierre Petit aus Izel bei Orval einen Rokokoaltar für die Aufstellung des Wallfahrtsbildes zur Zeit der Oktavfeierlichkeiten anfertigen. Seit jener Stunde ist der kunstreiche, schmiedeeiserne Altar mit vielen silbernen Amplen, Herzen und anderen Votiv- oder Weihegaben der Pilger behangen. Diese Gaben sind konkreter Ausdruck des Dankes für erfüllte Hoffnungen und erfahrene Hilfen auf dem verheissungsvollen Pilgerweg zum Gnadenbild.

Ein letztes Mal sollte 1781 mit aller Pracht barocker Lebensfreude die gemeinschaftliche, in Prozession begangene Wallfahrt als festliches Glaubensbekenntnis im Rahmen der Oktavfeierlichkeiten stattfinden. Obwohl das nüchtern denkende Aufklärungszeitalter unter Kaiser Josef II. bereits angebrochen war, durfte für das erste Zentenarium der Landesweihe an die Trösterin der Betrübten das Gnadenbild in einer prunkvollen Schauprozession durch die Strassen der Stadt getragen werden. Entsprechend dem volksbarocken Erscheinungstyp der Prozession waren in fester Ordnung sämtliche Städte und Stände des Herzogtums vertreten, desgleichen auch die Zünfte der Hauptstadt, deren heute noch erhaltenen Schilder mitsamt den Fahnen, Kerzen und Standarten der Huldigung einen abwechslungsreichen, bunten Schmuck verliehen. Eine eigene illustrierte Beschreibung in Buchform, die 1781 in Luxemburg veröffentlicht wurde, gibt einen anschaulichen Einblick in Verlauf und Gestalt der Jubiläumsprozession.

Obwohl in den folgenden Jahren im Sinne der Aufklärung die kontrollierenden staatlichen und kirchlichen Behörden von Brüssel und Trier dem Wallfahrtswesen starke Beschränkungen auferlegten, konnte dennoch das öffentliche und geschlossene Pilgern zum Gnadenbild, das ab 1794 endgültig in der ehemaligen Jesuitenkirche, die seit 1778 Stadtpfarrkirche war, untergebracht wurde, nicht unterbunden werden.

Unter Jean-Théodore Laurent, dem Apostolischen Vikar für das Grossherzogtum Luxemburg (1841-1848), wird das Wallfahren einen neuen Aufschwung und eine tiefgreifende Erneuerung erleben. Die alljährliche „Oktave“ als Intensivzeit der Anrufung der Trösterin der Betrübten wird zum beherrschenden religiösen Ereignis im Leben der 1870 errichteten Diözese Luxemburg. Liebe und Hang zur Feierlichkeit und Sinnenhaftigkeit, wie das Barockzeitalter sie entwickelt hatte, leben neu auf. Bezeichnendes Beispiel hierfür sind die von Michel Engels 1893 geschaffenen Illustrationen zur Schlussprozession, die das für die Volksfrömmigkeit typische Verharrungsvermögen von Gestalt und Ablauf deutlich bekunden. 1922, unter Bischof Petrus Nommesch, wird die alljährliche Wallfahrtszeit der „Oktave“ auf 14 Tage ausgedehnt, um nun sämtlichen Dekanaten des Landes sowie vielen Einzelpfarreien oder Schulen eine eigene Wallfahrt zum Bild der Trösterin der Betrübten zu ermöglichen. Eigens komponierte Litaneien und Wallfahrtslieder, zuerst in deutscher, dann auch in luxemburgischer Sprache, prägen nun ihrerseits das Wallfahrtsgeschehen und verleihen ihm zusehends eine unverkennbare nationale Dimension. Diese Dimension erhält namentlich während des Zweiten Weltkriegs ihre Bestätigung und Vertiefung. Für weite Kreise der luxemburgischen Bevölkerung wird das Bild der Trösterin der Betrübten mit seiner Botschaft von Trost und Hoffnung zu einem unverkennbaren Ausdruck des Nationalbewusstseins und der Zusammengehörigkeit.

Heute, nach mehr als 350 jähriger ununterbrochener Wallfahrtstradition, die auch der Zweite Weltkrieg nicht ausradieren konnte, kommt dem Pilgern und Wallfahren eine neue Aktualität zu. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche sich nämlich als „pilgerndes Gottesvolk“ bezeichnet. „Man entdeckt heute wieder“, - wie Bischof Klaus Hemmerle geschrieben hat, - „dass zum Menschen der Weg, die Wanderschaft, Aufbrechen, Verweilen, Ankommen, Weggenossenschaft, ja die Müdigkeit des Weges hinzugehören.“

„Mit Maria unterwegs im Glauben“, so könnte man die lange Geschichte des Wallfahrens zum Gnadenbild der Trösterin der Betrübten zusammenfassen. Auf diesem Weg leuchtet Maria als die schon erfüllte und verwirklichte Hoffnung auf. Sie hat schon erreicht, um was wir uns in gläubigem Vertrauen auf dem Pilgerweg bemühen müssen, die volle Teilnahme an der Osterherrlichkeit des Herrn.

So war und bleibt das Wallfahren zur Trösterin der Betrübten ein verheissungsvoller Weg. In ihrer Verehrung findet sich die Kirche immer wieder als pilgerndes Volk Gottes zusammen.

Michel Schmit

 
Service Kommunikatioun a Press . Service Communication et Presse
Äerzbistum Lëtzebuerg . Archevêché de Luxembourg

© Verschidde Rechter reservéiert . Certains droits réservés
Dateschutz . Protection des données
Ëmweltschutz . Protection de l'environnement